Die Beteiligten des Corona-Symposiums

Hessisches Ministerium für Arbeit, Integration, Jugend und Soziales

Wissenschaft, medizinische Praxis und Politik diskutieren über Lehren aus der Corona-Pandemie

Im Rahmen eines hochkarätig besetzten wissenschaftlichen Symposiums hat Gesundheitsminister Kai Klose gemeinsam mit nationalen und internationalen Vertreter*innen aus Wissenschaft und Gesundheit am Universitätsklinikum in Frankfurt am Main die Lehren und Schlussfolgerungen aus der Corona-Pandemie diskutiert. „Ihr Interesse zur Mitwirkung wie auch Teilnahme zeigt, dass es sich lohnt, das Buch nicht einfach zuzuklappen“, sagte Klose in seiner Begrüßungsrede. „Wir alle in unseren unterschiedlichen Funktionen haben viel gelernt, auch dazugelernt, und es lohnt, das festzuhalten.“ In Hessen seien die Herausforderungen durch Kooperation, mit der Struktur des Planstabs stationär, an dem alle Sektoren beteiligt waren und in dauernder Kommunikation mit allen Akteur*innen angegangen worden.

Prof. Dr. Jürgen Graf, Vorstandsvorsitzender und Ärztlicher Direktor des Uniklinikums Frankfurt, bedankte sich in seiner Begrüßung bei Wissenschaftsministerin Angela Dorn und Minister Klose für die große Unterstützung aus der Politik, die er während der Pandemie für Wissenschaft und medizinischen Sektor in Hessen verspürt habe. „Wir haben häufig improvisieren müssen, haben gemacht, was wir angesichts der Unwägbarkeiten, mit denen wir es zu tun hatten, für richtig hielten und mussten unsere Meinung und Haltung immer wieder den Fakten anpassen. Dabei haben wir auch viel über uns und unsere Strukturen gelernt“, sagte Prof. Graf. 

Nach jeweils einem einleitenden Impulsvortrag von außerhalb Hessens wurde in insgesamt vier Panels – Corona virologisch, Corona stationär, Corona ambulant und Corona und der ÖGD – und einer Finalrunde diskutiert, wie die Forschung gestärkt und der Gesundheitsschutz weiter verbessert werden kann.

Corona virologisch

Prof. Dr. Christian Drosten von der Berliner Charité nutzte seinen Vortrag, um rückblickend auf Irrtümer in der Rezeption der Pandemie hinzuweisen, die auch dadurch entstanden, dass Ergebnisse und Methodik oft unmittelbar medial in Zweifel gezogen worden seien. Beispielsweise stimme es nicht, dass man in Deutschland Schulen länger als anderswo geschlossen gewesen habe. Auswertungen zufolge habe sich Deutschland hier im unteren Mittelfeld der Länder bewegt – hinter beispielsweise Dänemark, England, Polen oder Österreich. Auch die Wahrnehmung, die Omikron-Variante des Virus sei eine mildere, sei ein Trugschluss gewesen. „Dass die Krankheitslast bei Omikron gesunken ist, lag alleine an der Impfung. Omikron ist nicht ‚mild‘. In einer wenig geimpften Bevölkerung wie zum Beispiel Hongkong ist Omikron anhand der Daten von der Krankheitsschwere her nicht von den vorherigen Varianten unterscheidbar“, so Prof. Drosten. Dass die Pandemie vorbei sei, sei in der Hybridimmunität aus Impfung und Infektionen begründet. Der öffentliche Diskurs sei durch Interessen und politische Zielkompromisse von vielen Trugschlüssen geprägt gewesen, Erfahrungstatsachen seien häufig ignoriert worden und man sei auch dem Präventionsparadoxon aufgesessen.

Auch in der anschließenden Diskussion mit Prof. Dr. Sandra Ciesek, Virologin am Uniklinikum Frankfurt und Prof. Dr. Volker Mosbrugger vom Institut für Geowissenschaften der Goethe-Universität stand das schwierige Zusammenspiel aus Wissenschaft, Politik und Medien im Fokus. Sie habe in Hessen nicht erlebt, dass die Politik sich hinter der Virologie versteckt habe, sagte Prof. Ciesek – im Bund sei das womöglich anders gewesen. Prof. Drosten räumte ein, dass er sich im Falle einer neuerlichen Pandemie für Mikroskop und Labor statt für Mikrofon und Podcast entscheiden würde. Prof. Mosbrugger wies darauf hin, dass – egal ob bei Pandemie oder Erdüberhitzung – der Umgang mit der Natur der limitierende Faktor für die Gesellschaft sei und forderte Politik und Gesellschaft zu einheitlichem Denken auf: „Das ist die Voraussetzung, um die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen.“

 Corona stationär

Auf die Situation des stationären Sektors während der Corona-Pandemie ging Prof. Dr. Heyo Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Berliner Charité, in seinem Vortrag ein. Er schilderte, wie sehr die Pandemie sein Haus verändert habe und wie schwierig es noch immer sei, nach einer solch großen Herausforderung in den Normalmodus zurückzukehren. Sein in den Pandemie-Jahren auf Covid-19 ausgerichtetes Haus sei auch durch eine Vielzahl an Todesfällen stark belastet gewesen, deren Verarbeitung das Personal vor große Herausforderungen gestellt habe. Auch der Druck auf die Verantwortlichen sei immens gewesen. „Den Fokus auf das zu richten, was die einzelnen Häuser können, hat sich bewährt“, so Kroemer weiter, der in diesem Punkt auch den Grund-Ansatz der geplanten Krankenhausreform teilt. Kommunikation und Vernetzung seien während der Pandemie entscheidend gewesen und seien es auch für die Zukunft der Krankenhauslandschaft. Kroemer verwies dabei auf Hessen, Berlin und Sachsen als eines der Positivbeispiele: „Die Vernetzung und Koordination durch den hessischen Planstab Stationär waren beispielgebend. Hier wurde strukturell außergewöhnliches geleistet.“

In der anschließenden Diskussion mit Prof. Graf und Prof. Dr. Steffen Gramminger, Direktor der Hessischen Krankenhausgesellschaft, herrschte Einigkeit: Pandemien seien im Grundsatz furchtbar – aber sie ermöglichten auch Dinge, die sonst nicht möglich seien – beispielsweise die bundesweite Vernetzung der 36 Unikliniken. Für die Zukunft sei wichtig, das für alle ungewohnte und neue Aktionsfeld aus Politik und Wissenschaft, das es so zuvor nicht gegeben habe, zu erhalten und vor allem gut zu bespielen. Auch mit Blick auf die aktuell zwischen Bund und Ländern verhandelte Krankenhausstrukturreform befanden alle drei, dass der Reformdruck schon aufgrund des demografischen Wandels und des damit einhergehenden Fachkräftemangels groß sei.  „Wir brauchen intersektorale Strukturen. Sektorgrenzen sind ineffizient. Wir brauchen die Reform auch, weil wir nicht die Personalressourcen haben“, sagte Prof. Gramminger. „Und wir müssen bei dieser Reform auf bestehende Strukturen aufbauen“, fügte Prof. Graf hinzu.

Corona ambulant

Dr. Andreas Gassen, Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, betonte in seinem Vortrag, dass das flächendeckende Impfen und Testen während der Pandemie ohne die Praxen niemals handhabbar gewesen sei. Er erinnerte an die teils schwierigen Bedingungen, unter denen das Personal in den Praxen gearbeitet habe, gerade angesichts des anfänglichen Mangels an Schutzausrüstung und Masken. Dr. Gassen kritisierte auch den Datentransfer: „Daten, die keiner wirklich analysieren kann, über Monate fehlende Schnittstellen – wir brauchen dringend diese Schnittstellen“, so Gassen – ohne eine valide Datenbasis sei vieles deutlich schwieriger und hier hätten andere Länder deutliche Vorteile gehabt. Außerdem haben wir zwar erlebt, wie gut es ist, eng an der Wissenschaft Dinge zu erproben – aber auch, welche Probleme es birgt, wenn sich wissenschaftliche und politische Kommunikation vermischen.“

Die niedergelassene Ärztin Dr. Carola Koch und der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, Frank Dastych, betonten in der anschließenden Runde, wie eindrucksvoll die Ärzteschaft in der Pandemiezeit ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt habe: „Wir haben gezeigt, wie anpassungsfähig und wandlungsfähig wir sind. Unser Beruf bringt den Impetus mit sich, dass wir da sein müssen, wenn die Menschen Hilfe brauchen“, sagte Frau Dr. Koch. Wichtig sei nun, stringente Kommunikationsstrukturen aufzubauen, damit Ärzt*innen den gleichen Wissensstand hätten. Daran habe es in der Pandemie oft gefehlt. „Wir haben die organisatorischen Voraussetzungen geschaffen, damit die Praxen ihre Leistungen abrufen konnten. Das hat gut funktioniert. Wir haben vieles richtig gemacht“, schloss der KVH-Vorsitzende Dastych.

Corona und der ÖGD

Dr. Johannes Nießen, Leiter des Gesundheitsamts Köln, betonte in seinem Vortrag die Notwendigkeit eines krisenresistenten und strukturell widerstandsfähigen Gesundheitssystems. „Viele Gesundheitsämter waren nicht bereit und verfügten nicht über das notwendige Personal, weil vorher zu viel gespart wurde.“ Dafür hätten telefonische Beratung und intensive Kontaktnachverfolgung sowie das schnelle Etablieren der Testungen gut funktioniert. Auch das aufsuchende Impfen nannte Nießen ein Erfolgsmodell sowie das Zusammenrücken von Katastrophenschutz und Medizin und den Digitalisierungsschub, den die Pandemie gebracht habe. Corona habe in vielen Punkten aber auch schonungslos Schwächen offenbart: „Pandemiepläne waren veraltet, es existierten keine etablierten Vernetzungsstrukturen, an vielen Stellen mangelte es an Kommunikation, und die Pandemie-Auswirkungen auf vulnerable Gruppen fanden zunächst zu wenig Berücksichtigung.“ Für die Zukunft sei wichtig, einheitliche Kommunikation zu gewährleisten und ein Abwassermonitoring sowie datenbasierte Public-Health-Forschung zu etablieren, wo Hessen bereits auf einem guten Weg sei. 

Im anschließenden Austausch von Dr. Nießen mit Dr. Birgit Wollenberg, Leiterin des Gesundheitsamts Marburg-Biedenkopf und Dr. Jürgen Krahn, Leiter des Gesundheitsamts Darmstadt, waren sich alle drei in einem Punkt einig: Die Pandemie hat dem Öffentlichen Gesundheitsdienst zu mehr Bekanntheit und Wertschätzung verholfen. „Das merken wir beispielsweise bei den Medizinstudierenden, die uns jetzt kennen und sehen, dass sie bei uns sinnstiftend arbeiten können. Das ist ein spürbarer wie nachhaltiger Effekt“, so Frau Dr. Wollenberg. „Für die Nachwuchsgewinnung konnte uns nichts Besseres passieren.“ Dr. Krahn war es angesichts des medialen Bashings, das medial oft betrieben wurde und in dem der ÖGD als veraltet dargestellt wurde, wichtig zu betonen: „Wir sind digital in die Pandemie gegangen, nur die Schnittstellen haben gefehlt.“

Im Anschluss schilderte der internationale Gast des Symposiums, Dr. Dario Tedesco, der in der hessischen Partnerregion Emilia-Romagna den Bereich Innovation in Gesundheits- und Sozialdienstleistungen in der Generaldirektion Bevölkerung, Gesundheit und Wohlfahrt verantwortet, die Pandemie-Erfahrung aus seiner Perspektive. Viele der Probleme seien mit denen in Deutschland vergleichbar gewesen und man habe die Pandemie nach dem anfänglichen Schock auch für eine Menge Veränderungen nutzen können: „Wir haben unseren Pandemieplan erneuert und engagieren uns jetzt für grundlegende strukturelle Reformen des Gesundheitssystems – Corona ist Trauma und Chance zugleich.“ Tedesco äußerte sein Bedauern darüber, dass die Menschen so schnell in vorpandemische Verhaltensweisen zurückgefallen seien: „Der menschliche Charakter ist elastisch.“ Ebenso beklagte er die auch in Italien verbreiteten Falschinformationen. In der Kommunikation sieht auch er für die Zukunft eine wichtige und große Herausforderung in krisenhaften Situationen.

Finalrunde

Für die Abschlussrunde kamen Hessens Wissenschaftsministerin Angela Dorn, Minister Klose, Dr. Tedesco und Prof. Drosten zusammen. „Wir werden vermutlich in dieser Generation keine Pandemie dieser Schwere mehr erleben“, sagte Prof. Drosten, der auch in Richtung Politik appellierte: „Was nötig und eine nachhaltige Investition ist, ist die Grundlagenforschung, die auch in 30, 40 Jahren noch da sein wird.“ Man sei in den Lebenswissenschaften zuletzt irritiert gewesen, dass der Bund hier die Priorität verschoben habe. „Mir macht Sorge, dass Grundlagenforschung nicht mehr en vogue ist – das ist fatal“, pflichtete ihm Ministerin Dorn bei, die sagte, hier für Hessen weiterhin Schwerpunkte setzen zu wollen. Eine weitere Lehre für die Zukunft sei es allen Beteiligten zufolge, wissenschaftliche und politische Sichtweisen und Kommunikation künftig besser zu moderieren und zu synchronisieren.

Alice Engel

Alice Engel

Alice Engel

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