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Methodische Hinweise

Lesedauer:9 Minuten

Die Hessischen Landessozialberichte sind bezüglich Methodik, Datenerhebung und Datenauswertung so gestaltet, dass grundsätzlich eine Vergleichbarkeit mit den Sozialberichten aus anderen Bundesländern und des Bundes gegeben ist. Insbesondere werden deshalb die Sozialstatistiken, die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, die Steuerstatistiken, die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, die Mikrozensusdaten sowie Daten der Bundesagentur für Arbeit und der Deutschen Rentenversicherung verwendet. Des Weiteren wurden auch Datengrundlagen außerhalb der amtlichen Statistik einbezogen (z. B. Kommunale Sozialberichte, Analysen von Kammern und Verbänden, Berichte der Hessischen Landesregierung usw.).

Im 2. Hessischen Landessozialbericht wurde zudem ergänzend ein über den Ressourcenansatz (monetäre Einkommen und Vermögen) hinausgehender multidimensionaler Lebenslagenansatz bzw. ansatzweise noch weitergehend, aber mit Abstrichen vor allem aufgrund der Datenlage, ein Teilhabe-/Capability-Konzept zugrunde gelegt.

Definitorische Hinweise

Die Definition von „Armut“ ist normativ, d. h. unterliegt einer Wertentscheidung. „Armut“ ist kein Tatbestand, der sich objektiv feststellen ließe. Je nachdem, welche Wertüberzeugungen und Messverfahren bzw. welche Datengrundlage man zugrunde legt, kommt man zu unterschiedlichen Ergebnissen. Allgemein wird mit Armut die wirtschaftliche Lage einer Person bezeichnet, der nicht jene notwendigen Ressourcen eines als Minimum definierten Lebensunterhalts zur Verfügung stehen. Aus diesem Grund haben sich unterschiedliche Definitionen von Armut und Armutskonzepten ausgebildet:

Absolute Armutdefiniert sich durch das Unterschreiten der zur Erhaltung der physischen Existenz (z. B. Nahrung, Kleidung, Wohnung, Gesundheit) notwendigen Güter und Dienstleistungen. „Absolut arm“ ist demnach jemand, der nicht über die Dinge verfügt, die zum Überleben notwendig sind. So sind z. B. Hunger, Obdachlosigkeit und fehlende gesundheitliche Versorgung Merkmale absoluter Armut (z. B. Obdachlose, Suchtkranke, Straßenkinder etc.).

Relative Armut: In der aktuellen Sozialberichterstattung ist der Maßstab in hochentwickelten Gesellschaften nicht das physische Existenzminimum, sondern die „relative“ Armut. Armut definiert sich dabei durch den Bezug zu einer Referenzgruppe, d. h. Armut wird relativ gemessen am Reichtum einer Gesellschaft. „Relative Armut“ vergleicht den individuellen Lebensstandard mit dem durchschnittlichen Lebensstandard einer Gesellschaft.

Hinweis: Bei der Interpretation von Ergebnissen auf Basis relativer Armutskonzepte ist darauf zu achten, dass diese nur „Ungleichheit“ und nicht „Armut“ messen können. Zur Illustration: Würde man alle individuellen Einkommen in einer Gesellschaft halbieren oder verdoppeln, würde sich die Situation der Einkommensschwächsten wesentlich verschlechtern bzw. verbessern; der Anteil der relativ „Armen“ bliebe aber in beiden Fällen derselbe, weil sich in der Relation nichts verändert.

Operationalisierung von Armut: Bei der (relativen) Armutsmessung wird zwischen dem Ressourcen- und dem Lebenslagen-Konzept unterschieden:

Beim Ressourcen-Konzept „relativer Armut“ wird der „Lebensstandard“ als „Nettoeinkommen“ operationalisiert. Als Bezugspunkt wird der Median (mittlerer Wert einer nach der Größe geordneten Reihe) gewählt, um die Wirkung von Extremwerten abzumildern. Um die Einkommen von Haushalten unterschiedlicher Größe vergleichen zu können, gewichtet man nach einer Äquivalenzskala[1].

Relative Einkommensarmut wird gemessen durch:

  1. Relative Einkommensarmut: Als arm gelten i.d.R. Personen in Haushalten mit weniger als 60 % des bedarfsgewichteten durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommens (meist Median)
  2. Sozialhilfebedürftigkeit (HLU): Als arm gelten i.d.R. Personen, die Anspruch auf den Bezug von laufendender Hilfe zum Lebensunterhalt haben

Hinweis: Der Zweite Hessische Landessozialbericht folgt diesen anerkannten Definitionen von Armutsgrenzen, die sowohl in Deutschland als auch der EU als verbindliche Indikatoren zur Armutsmessung gelten.

Lebenslagen-Ansatz: Erweitert wird das relative Ressourcen-Konzept durch das so genannte Lebenslagen-Konzept, das dem mehrdimensionalen Charakter von Armut und Reichtum sozialstatistisch gerecht werden soll. In den einzelnen Lebenslagen werden neben der materiellen Dimension gezielt auch andere Aspekte berücksichtigt. Im Unterschied zum Ressourcen-Ansatz versucht der Lebenslagen-Ansatz eine ausschließlich an monetären Größen ausgerichtete Definition von Armut zu überwinden und dem eine mehrdimensionale Messung und ein ganzheitliches Konzept der Armut (gesellsch. Verwirklichungschancen) entgegenzusetzen. Ein Mangel an gesellschaftlich bedingten Chancen lässt sich als Ausgrenzung, ein sehr hohes Maß an gesellschaftlich bedingten Chancen dagegen als Privilegierung interpretieren.

Wichtige Datenquellen

Der Mikrozensus ist die größte jährlich durchgeführte Repräsentativerhebung der amtlichen Statistik in Deutschland. In den Mikrozensus ist seit 1968 die EU-Arbeitskräftestichprobe (Labour Force Survey) integriert. Hauptgegenstand sind die Themen Bevölkerung und Arbeitsmarkt, ebenso Bildung und Wohnen. Hinzu kommen wechselnde kleinere Module zu speziellen Themen. Der Stichprobenumfang beträgt 1 % der Bevölkerung. In Deutschland werden rund 380.000 Haushalte mit ca. 820.000 Personen befragt. Für die wesentlichen Fragen, so auch über das Nettoeinkommen des Haushalts, besteht Auskunftspflicht. Die Bedeutung von (tief) regionalisierten Analysen, beispielsweise im Hinblick auf die Lebenschancen unterschiedlicher sozialer Gruppen, macht den Datensatz besonders wertvoll. So erlaubt die hohe Fallzahl differenzierte Analysen, auch für kleine Teilpopulationen (in Hessen können regionale Einheiten mit ca. 600.000 Einwohnern gesondert untersucht werden).

Die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) ist eine amtliche Statistik über die Lebensverhältnisse privater Haushalte in Deutschland. Sie liefert unter anderem statistische Informationen über die Ausstattung mit Gebrauchsgütern, die Einkommens-, Vermögens- und Schuldensituation sowie die Konsumausgaben privater Haushalte. Einbezogen werden dabei die Haushalte aller sozialen Gruppierungen, sodass die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe ein repräsentatives Bild der Lebenssituation nahezu der Gesamtbevölkerung in Deutschland zeichnet. Auf Basis einer Quotenstichprobe mit freiwilliger Teilnahme werden alle 5 Jahre Haushalte zu den o. g. Themen befragt. An der EVS 2013 nahmen in Deutschland rund 55.000 Haushalte (Hessen ca. 4.000 Haushalte) teil. Die hohen Fallzahlen ermöglichen auch für Hessen ein hohes Analysepotenzial. Allerdings besteht die Gefahr, dass sich nicht genügend „Risikogruppen“ an der freiwilligen Erhebung beteiligen.

EU-SILC („Leben in Europa“) ist der offizielle Datensatz der EU-Armutsberichterstattung. Die Gemeinschaftsstatistik über Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC) wurde in Deutschland unter der Bezeichnung "Leben in Europa" im Jahr 2005 erstmals durchgeführt. Im Rahmen dieser Erhebung werden jährlich etwa 14.000 private Haushalte sowie die darin lebenden Personen ab 16 Jahren auf freiwilliger Basis befragt. Erhebungsschwerpunkte sind die personen- und haushaltsbezogenen Einkommen, die Wohnsituation des Haushalts, die Gesundheit der Befragten, Fragen zur Kinderbetreuung, zur Erwerbstätigkeit sowie zur Einschätzung der eigenen finanziellen Lage. Zusätzlich gibt es jährlich wechselnde Erhebungsschwerpunkte. Die Statistik ist als Rotationspanel angelegt, so dass auf dieser Basis sowohl Quer- als auch Längsschnittinformationen gewonnen werden können. Für Hessen sind allerdings aufgrund zu geringer Fallzahlen (rund 1.000 Haushalte) keine repräsentativen Ergebnisse zu erwarten. Auch sind in Hessen erfahrungsgemäß Einkommensdaten von alleinerziehenden Personen unterrepräsentiert.

Das Sozioökonomische Panel (SOEP) ist eine von der Leibniz-Gemeinschaft am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und von TNS Infratest Sozialforschung GmbH durchgeführte jährliche Reprä­sentativbefragung. Das SOEP ist als echte Längsschnitt­befragung (Wiederholungsbefragung bei denselben Personen/Haushalten) angelegt. Inhalte sind neben Ein­kommen und Erwerbstätigkeit z. T. wechselnde Themen wie Familie, Soziale Sicherung, Biografie bis hin zu subjektiven Wahrnehmungen. Die Hauptbefragung wird seit 1984 durchgeführt. In Deutschland werden jährlich rd. 20.000 Personen in mehr als 10.000 Privathaushalten befragt. Grundsätzlich kann das SOEP auch für Hessen untergliedert werden. Aufgrund der geringen Fallzahlen (geschätzt knapp 750 Haushalte mit 1.500 Personen) ist das SOEP für tiefergehende Fragestellungen nicht geeignet.

Sozialstatistiken (amtl. Statistik)

Ergänzend werden im 2. LSB (neben Informationen aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, der Bevölkerungsstatistik sowie der Arbeitsmarkt- und Bildungsstatistik) die amtlichen Sozialstatistiken genutzt:

  • Sozialhilfestatistik, inkl. Statistik über die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit (SGB XII-Leistungen)
  • Statistik zu den SGB II-Leistungen (Arbeitslosengeld II und Sozialgeld)
  • Statistik zum Asylbewerberleistungsgesetz

[1]Öffnet sich in einem neuen Fenster Die EU hat hierzu ein Standardmessverfahren vorgegeben, das in allen EU-Mitgliedsstaaten für die Armutsberichterstattung verwendet wird. Dazu werden sämtliche Einkommen eines Haushalts zusammengeführt und dann gewichtet nach der OECD-Skala aufgeteilt. Ergebnis ist das bedarfsgewichtete Pro-Kopf-Einkommen (Äquivalenzeinkommen). Danach erhält der Haushaltsvorstand ein Gewicht von 1, jedes weitere Haushaltsmitglied ab 14 Jahren ein Gewicht von 0,5 und Kinder unter 14 Jahren ein Gewicht von 0,3. Gemäß EU-Armutsmessung ist eine Person dann arm, wenn ihr Äquivalenzeinkommen geringer ist als 60% des nationalen Median-Äquivalenzeinkommens (Pro-Kopf-Gewichtung mit der modifizierten OECD-Skala)

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