Die Teilnehmenden der 70. KBB stehen auf einem Schiffsanleger vor der Elbphilharmonie.

Digitale Teilhabe sicherstellen!

Die Beauftragten des Bundes und der Länder für die Belange von Menschen mit Behinderungen fordern eine auf dem Grundgesetz und der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) basierende Digitalisierungspolitik, die Menschen mit Behinderungen die barrierefreie Nutzung digitaler Technologien ermöglicht sowie umfassende digitale Teilhabe sicherstellt.

Hierbei müssen die Menschen mit ihren individuellen Anforderungen und Nutzungspräferenzen in den Mittelpunkt der Technologieentwicklung gestellt werden.

Deutschland verpflichtet sich durch die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) gemäß Artikel 9 zur Barrierefreiheit auch im digitalen Raum. Digitale Barrierefreiheit ist eine Grundvoraussetzung, um allen Menschen gleichberechtigte und selbstbestimmte digitale Teilhabe zu ermöglichen. Diese Verpflichtung wird durch das Grundgesetz gestützt, welches in Art. 3 Absatz 3 ausdrücklich festschreibt, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf.

Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), dem Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes (BGG), den entsprechenden Landesgesetzen sowie dem Onlinezugangsgesetz (OZG) wurden in Deutschland wichtige Grundlagen für die digitale Barrierefreiheit geschaffen. Diese Gesetze haben die rechtlichen Rahmenbedingungen deutlich verbessert und bilden die Basis für die digitale Teilhabe. Zugleich macht der aktuelle zweite Bericht Deutschlands zur digitalen Barrierefreiheit öffentlicher Stellen an die Europäische Kommission deutlich, dass die praktische Umsetzung, insbesondere die Einhaltung der Norm EN 301 549 bei Webauftritten, mobilen Apps und elektronischen Dokumenten, unzureichend ist und konsequenter erfolgen muss.

Die Behindertenbeauftragten des Bundes und der Länder fordern daher ein entschlossenes Vorgehen, sodass sich Barrierefreiheit als selbstverständliches Qualitätsmerkmal und Querschnittsanforderung digitaler Technologien und Angebote etabliert.

Insbesondere fordern sie Folgendes:

Digitale Technologien und Angebote im Sinne der Teilhabe fördern

Entscheidend ist, dass digitale Technologien und Angebote barrierefrei und partizipativ entwickelt werden. So ermöglichen z.B. barrierefreie digitale Arbeitsplätze eine gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsmarkt und leisten einen Beitrag zur Fachkräftegewinnung.

„Accessibility by Design“ muss daher das vorherrschende Grundprinzip sein: Digitale Anwendungen sind von Beginn an im Sinne von Erreichbarkeit, Zugänglichkeit und Nutzbarkeit vollständig barrierefrei zu konzipieren, zu gestalten und umzusetzen. Ferner sind Innovationen und Forschung im Bereich assistiver Technologien gezielt zu fördern und diese verfügbar zu machen.

Gesetzliche Verpflichtungen zur digitalen Barrierefreiheit durchsetzen

Damit die Gesetze wirksamer greifen, ist ihre konsequente Durchsetzung erforderlich. Zu diesem Zweck müssen u.a. die Überwachungs- und Durchsetzungsstellen personell angemessen und mit wirksamen Sanktionsmöglichkeiten ausgestattet sein, damit festgestellte Mängel verlässlich behoben werden.

Technische Hilfskonstruktionen wie sogenannte Accessibility-Overlays, also Zusatzprogramme, die Barrieren durch nachträgliche Anpassungen überdecken, ersetzen keine barrierefrei gestalteten Produkte und Dienstleistungen, sondern führen oft sogar zu neuen Barrieren.

Gesetzliche Verpflichtungen für Anbietende digitaler Güter und Dienstleistungen erweitern

Die durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz bestehenden gesetzlichen Verpflichtungen für Anbietende digitaler Güter und Dienstleistungen müssen ausgeweitet werden.

Dazu zählen unter anderem beruflich genutzte Software, Haushaltsgeräte sowie Medizinprodukte und Gesundheitsdienstleistungen. Übergangsfristen, etwa bei den Anforderungen an Selbstbedienungsterminals sind zu verkürzen, damit der Umsetzung der Barrierefreiheit zügig Rechnung getragen wird.

Bei der Ausweitung rechtlicher Regelungen muss die Vielfalt der Beeinträchtigungen von Menschen mit Behinderungen stärker berücksichtigt werden. Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen und hohem Unterstützungsbedarf sind besonders häufig von digitaler Exklusion betroffen. Hinsichtlich der Barrierefreiheit sind daher auch umfassende Verpflichtungen zu angemessenen Vorkehrungen, u.a. die Verfügbarkeit von Digitalassistenzen und in Bezug auf die physische Umgebung von Dienstleistungsangeboten, zu verankern.

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz sieht über die Möglichkeit von Feststellungsklagen hinaus umfassenden Rechtsschutz für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie für Verbände vor. Die Beauftragten fordern die Erweiterung dieser Rechtsschutzmöglichkeiten auch gegenüber öffentlichen Stellen.

Öffentliche Verwaltung barrierefrei gestalten

Die öffentliche Verwaltung muss bei der Barrierefreiheit ihre Vorbildfunktion nach außen und innen aktiv wahrnehmen. Im Zuge von Ausschreibungsverfahren ist bei der Beschaffung und bei Anpassungen von Hard- und Software die Barrierefreiheit als Standardanforderung und Qualitätskriterium zu verankern sowie ihre Umsetzung durch extern erstellte Testberichte nachzuweisen. Menschen mit Behinderungen sind in diesen Prozess einzubeziehen. Zur Sicherung von Qualität und Nachhaltigkeit sind Kompetenzzentren in Bund und Ländern erforderlich, die auch Kommunen unterstützen und durch Beratung, Vernetzung und Wissenstransfer eine konsequente Umsetzung ermöglichen.

Beschäftigte der öffentlichen Verwaltung sind zur digitalen Barrierefreiheit regelmäßig zu schulen. Fortbildungen müssen verpflichtend sein, sofern die Beschäftigten Aufgaben wie Beschaffung und Entwicklung von Fachanwendungen in der IT wahrnehmen oder bürgernahe Dienstleistungen erbringen.

Für elektronische Verwaltungsleistungen von Bund und Ländern, wie sie das Onlinezugangsgesetz (OZG) regelt, muss als einheitlicher Standard die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) gesetzlich verankert werden. Der IT-Planungsrat als oberste Instanz für die Koordinierung der Verwaltungsdigitalisierung hat den Umsetzungsstand der Barrierefreiheit regelmäßig zu bewerten. Bei der durch das OZG vorgesehenen Beteiligung von Nutzenden an der Entwicklung von Verwaltungsleistungen sind Menschen mit Behinderungen und ihre Selbstvertretungen nachweislich einzubeziehen.

Die öffentliche Verwaltung hat sicherzustellen, dass Menschen, die auf Leichte Sprache angewiesen sind, sowie gehörlose Personen, die in Deutscher Gebärdensprache als Muttersprache kommunizieren, einen gleichberechtigten Zugang zu Information und Kommunikation erhalten.

Digitale Kompetenzen ausbauen

Für den souveränen Umgang mit digitalen Technologien sind für Menschen mit und ohne Behinderungen barrierefreie Angebote vorzuhalten.

Die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung für alle Bevölkerungsgruppen angekündigte digitale Kompetenzoffensive muss selbstverständlich Menschen mit Behinderungen einbeziehen. Für Personen, die eine dauerhafte Unterstützung benötigen, ist eine Digitalassistenz vorzusehen.

Um Fach- und Führungskräfte für das Thema zu sensibilisieren und entsprechend zu befähigen, ist das Thema digitale Barrierefreiheit verbindlich in Lehr- und Prüfungsinhalten relevanter und angrenzender Studiengänge und Ausbildungen, wie z.B. Informatik, Verwaltung, Soziale Arbeit oder Design, zu verankern.

Schulungsangebote, Inhalte und Formate müssen für Beschäftigte mit und ohne Behinderungen gleichermaßen erreichbar, nutzbar und zugänglich sein.

Transparenz schaffen und Partizipation stärken

Die Ergebnisse systematischer Prüfungen durch Überwachungsstellen müssen auf der Grundlage der bestehenden Prüfkriterien öffentlich und nachvollziehbar zugänglich sein, um Transparenz und Vergleichbarkeit zu ermöglichen. Im Hinblick auf das OZG ist bei der öffentlichen Dokumentation des Umsetzungsstands von Verwaltungsleistungen die Barrierefreiheit einzubeziehen.

Menschen mit Behinderungen sind Expertinnen und Experten in eigener Sache und ihre Mitwirkung an Digitalisierungsprozessen ist unverzichtbar, um Barrieren frühzeitig zu erkennen und zu beseitigen.

Partizipation ersetzt jedoch nicht die Verantwortung der zuständigen Stellen, selbst Kompetenzen aufzubauen und Barrierefreiheit umzusetzen. Die Sicherung der Beteiligungsrechte muss effizient, planvoll und nachhaltig gestaltet sein, damit Ressourcen von Menschen mit Behinderungen gezielt eingesetzt werden.

Analoge Alternativen flankierend vorhalten

Digitalstrategien, die vorrangig auf „digital only“ setzen, schließen Menschen von gesellschaftlicher Teilhabe aus, die über keinen barrierefreien oder ausreichenden Zugang zu digitalen Angeboten verfügen.

Digitale Verfahren müssen deshalb niedrigschwellig und barrierefrei gestaltet sein. Gleichzeitig ist sicherzustellen, dass analoge Zugangswege wie Telefon und Präsenztermine zunächst überall dort weiterhin flankierend zur Verfügung stehen, wo das Risiko eines Ausschlusses besteht.

Barrierefreie Technik entfaltet ihre Wirkung, wenn alle Menschen – auch in Armut – sie tatsächlich nutzen können. Dafür sind ein bezahlbarer Internetzugang, geeignete Endgeräte einschließlich assistiver Technologien sowie digitale Kompetenzen unverzichtbar.

Digitalisierung darf kein Risiko der Exklusion darstellen, sondern muss bewusst als Instrument der Inklusion gestaltet werden!

Hamburg, 6. November 2026