Der vom Bundesministerium für Verkehr vorgelegte Entwurf einer „Verordnung zur Änderung der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften“ vom 26. Juni 2025 sieht neben Änderungen der technischen Anforderungen an Elektrokleinstfahrzeuge (eKF) insbesondere verhaltensrechtliche Regelungen durch eine Angleichung an den Radverkehr vor. Zur Vereinfachung sollen die verhaltensrechtlichen Vorschriften in die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) überführt werden.
Die vorgesehenen Änderungen verschärfen jedoch die durch Elektrokleinstfahrzeuge verursachten Gefahren für vulnerable zu Fuß Gehende noch einmal deutlich und schränken ihre Teilhabemöglichkeiten am Straßenverkehr damit noch weiter ein. Mobilitätseingeschränkte Menschen, insbesondere blinde und sehbehinderte, haben im Straßenverkehr besonders hohe Schutzbedürfnisse, da Barrieren im Straßenraum für sie nochmals signifikant höhere Sicherheitsrisiken darstellen als für andere Personengruppen (vgl. in der vom damaligen Bundesministerium für Digitales und Verkehr geförderten Studie „E-Tretroller in Städten – Nutzung, Konflikte und kommunale Handlungsmöglichkeiten“, Kapitel 4.1.3: „Blinde und eingeschränkt Sehende erleben besonders viele Konflikte“). Nutzungskonflikte mit eKF entstehen insbesondere in stark frequentierten Innenstadtbereichen mit zu Fuß Gehenden, aus der Nutzung der Fahrzeuge auf Gehwegen heraus und durch das Abstellen auf diesen Flächen.
Die geplanten rechtlichen Änderungen stehen damit in Widerspruch sowohl zum Grundgesetz als auch zur UN-Behindertenrechtskonvention.
Die Beauftragten wenden sich im Einzelnen gegen folgende Änderungen:
- Ausnahme von Elektrokleinstfahrzeugen für die geltenden Überholabstände: Nach der vorliegenden Entwurfsfassung soll im § 5 Abs. 4 StVO das Einhalten des Seitenabstands innerorts von mindestens 1,5 Metern und außer Orts von mindestens 2 Metern für eKF gestrichen werden. Die Beauftragten fordern die zwingende Beibehaltung der Abstandsregelungen beim Überholen von zu Fuß Gehenden, da die eKF im Vergleich zu Fahrrädern oder E-Bikes eine höhere Unfallhäufigkeit aufweisen. Nach einer Erhebung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (2020) gab es mit Fahrrädern 1,2 Unfälle pro Million gefahrene Kilometer, mit eKF waren es 5,5 Unfälle. Durch die Aufgabe der Mindestabstandsregelung besteht die Gefahr der weiteren Zunahme von Unfällen mit Elektrokleinstfahrzeugen. Hiervon können insbesondere Verkehrsteilnehmende mit Behinderungen verstärkt betroffen sein, da diese heranfahrende eKF nur eingeschränkt wahrnehmen oder in Gefahrensituationen nicht so schnell ausweichen können.
- Weitere Öffnung des Parkens auf Gehwegen: In der vorliegenden Entwurfsfassung soll im § 12 StVO das Parken von eKF auf Gehwegen mit Ausnahme der stationslosen Vermietung von Fahrrädern und eKF ausdrücklich verankert werden. Eine generelle Erlaubnis verschärft die bereits vorhandene Problematik der zugeparkten Flächen für zu Fuß Gehende weiter.
Das Parken auf Gehwegen und in Fußgängerzonen stellt eine weitere erhebliche Gefahr für blinde und sehbehinderte Menschen dar, da es die Orientierung erschwert und zu Stürzen führen kann. Dies gilt insbesondere, wenn die Elektrokleinstfahrzeuge an Kreuzungen, U- und S- Bahn-Eingängen, an Lichtsignalanlagen vor Querungen oder vor Bordsteinabsenkungen und auf Bodenleitsystemen abgestellt werden. Auch herum- bzw. querliegende ekF sind eine Gefahr, da sie insbesondere blinde und sehbehinderte zu Fuß Gehende zum Stolpern bringen können. Allen beschriebenen Situationen ist gemein, dass die betroffenen Menschen evtl. auf die Straße ausweichen müssen, um das Gefährt zu umgehen oder eine sichere Querung nicht nutzen können. Das betrifft auch die Nutzenden von Hilfsmitteln wie z.B. Rollstühlen. Überdies ist bisher aus gutem Grund nicht positiv geregelt, dass Fahrräder auf Fußwegen abgestellt werden dürfen.
In dem aktuellen Entwurf kann die gewerbliche Nutzung jetzt zwar als Sondernutzung eingeordnet werden, es ist jedoch nicht verpflichtend, sondern wird den Gemeinden freigestellt. Da gerade die gewerblich genutzten eKF die Hauptverursacher der oben beschriebenen Problematiken sind, bedauern die Beauftragten außerordentlich, dass hier die Chance zu einer bundesweit einheitlichen Lösung der Festschreibung verbindlicher Anforderungen in Sondernutzungserlaubnissen und damit auch die Einrichtung verbindlicher Abstellflächen vergeben wird. - Angleichung der Regelungen an den Radverkehr: Nach der vorliegenden Entwurfsfassung soll im § 39 StVO geregelt werden, dass das Verkehrszeichen „Radverkehr frei“ künftig an Gehwegen und Fußgängerzonen auch für eKF gilt. Eine Ausweitung von Mischverkehren erhöht die Gefahren für zu Fuß Gehende weiter. Die eKF bewegen sich lautlos und mit einer höheren Geschwindigkeit als der in diesen Bereichen zugelassenen Schrittgeschwindigkeit von 7km/h. Sie sind für blinde und sehbehinderte Menschen kaum wahrnehmbar und kreuzen unvermittelt deren Weg. Darüber hinaus entstehen Konflikte auch dadurch, dass für die Nutzerinnen und Nutzer von eKF die Beeinträchtigung von blinden und sehbehinderten Menschen oft nicht erkennbar und eine Verständigung durch Blickkontakt nicht möglich ist. Ähnliches gilt für hörgeschädigte, gehörlose und seh-hörbehinderte zu Fuß Gehende. Auch sie bemerken sich von hinten nähernde eKF nicht, die ihrerseits die zu Fuß Gehenden durch ihre nicht sichtbare Beeinträchtigung nicht als hörgeschädigt, gehörlos oder hör-sehbehindert erkennen können. Da ein Klingeln oder Rufen nicht wahrgenommen werden kann, ist eine Klärung der Situation oft gar nicht möglich. Auch Nutzende von radgebundenen Hilfsmitteln sind vielfach nicht in der Lage, ausreichend schnell auf die eKF-Nutzenden zu reagieren.
Die Ausweitung von Mischverkehren kann zudem potenziell negative Auswirkungen auf Personen mit kognitiven Beeinträchtigungen haben. Insbesondere besteht die Gefahr, dass durch die erhöhte Komplexität und Unübersichtlichkeit des Verkehrsraums diese Personengruppe stärker verunsichert wird, was zu einer verminderten Verkehrssicherheit führen kann.
Die Beauftragten bezweifeln, dass die geplanten Änderungen eine Vereinfachung darstellen. Sie befürchten vielmehr, dass es lediglich zu einer Verschiebung der Regelungen kommt. Für die Vereinheitlichung der Vorschriften für Fahrräder und eKF werden die bisherigen einheitlichen Regelungen für Kraftfahrzeuge und eKF aufgegeben – zu Lasten der Sicherheit zu Fuß gehender Menschen, vor allem derjenigen mit Behinderungen.
Die Beauftragten bedauern außerordentlich, dass die Interessen der Menschen mit Behinderungen, als einer besonders vulnerablen Personengruppe im Straßenverkehr, offensichtlich so wenig Beachtung finden und sehen einen Widerspruch zu der im Februar 2025 verabschiedeten nationalen Fußverkehrsstrategie, insbesondere bezüglich des Punktes 2.7 „Verbesserung der sozialen Teilhabe und Inklusion“.
Die Beauftragten schließen sich auch deshalb den Forderungen des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands nach einer verschuldensunabhängigen Halterhaftung für Elektrokleinstfahrzeuge und verschärften Sanktionierungen bei Fehlverhalten an.
Des Weiteren fordern sie eine Überarbeitung der Änderungsverordnung, die die Interessen der Menschen mit Behinderungen angemessen berücksichtigt und schlagen folgende Regelungen vor:
- Mischverkehr und bedeutet eine einheitliche und einfache Regel. Eventuell kann eine Ausnahme hinzugefügt werden, nach der Fahrräder im Schritttempo einen geringeren Abstand einhalten können, z.B. 1,0 m.
- Statt die Berechtigung für das Fahren auf Gehwegen mit dem Zusatzzeichen 1022-10 auf eKF auszuweiten, sollte die Sinnhaftigkeit dieses Zusatzzeichens kritisch überprüft werden. Das Fahren ist hier nur mit Schrittgeschwindigkeit zugelassen. Diese Regelung ist kaum bekannt und wird von Radfahrenden fast nie eingehalten. Die Beauftragten regen daher an, auf dem Zeichen das Wort „frei“ durch das Wort „Schritttempo“ zu ersetzen.
- Städte und Gemeinden sollten die Möglichkeit haben, auf besonders engen und belasteten Gehwegen und Plätzen das Abstellen von Fahrrädern und eKF zu untersagen.
- Die Bußgelder für unerlaubte Handy-Nutzung sollten für Radfahrende sowie eKF-Fahrende erhöht werden, da von einer solchen erhebliche Gefahren für zu Fuß Gehende ausgehen. Die Sanktionen für unzulässige Gehweg-Benutzung sollten für alle Fahrzeuge einheitlich sein, so wie si bereits für Kraftfahrzeuge festgelegt sind.
Der Text dieser Resolution wurde am 9. September 2025 durch die Konferenz der Beauftragten für Menschen mit Behinderungen von Bund und Ländern veröffentlicht.